Sonntag, 25. November 2012

Von der Revolution zur Revolution

Die gegenwärtige Debatte um das geistige Eigentum ist keineswegs eine neuartige Erscheinung, sondern vielmehr eine weitere Episode in der Auseinandersetzung mit dem Wesen und dem Sinn des Urheberrechts und insofern so alt wie das Urheberrecht selbst. Dessen Ursprung liegt in der Zeit der bürgerlichen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert und der anschließenden Epoche der Romantik. Bedingt durch die Entwicklung eines umfassenden Buchhandelns wurde eine vertragliche Regelung über geistige Errungenschaften notwendig.


Das romantische Autorrecht

In diesem Sinne forderte der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte, das geistige Eigentum unter Rechtsschutz zu stellen. Er trennte deutlich zwischen der körperlichen und geistigen Seite des Buches, wobei eben auch an der geistigen Dimension ein Eigentumsrecht bestehe. Auch Johann August Schlettwein betonte, dass Verfasser von Schriften die rechtmäßigen Eigentümer ihrer eigenen Produkte sein müssten. In der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik galt das Werk nach seiner Schöpfung zwar als eigenständiges Wirtschaftsgut, dennoch blieb es Teil der Persönlichkeit des Urhebers. Diese Beziehung zwischen Schöpfer und Werk war untrennbar und nicht übertragbar. In dieser Form des Autorrenrechtes wird Eigentum aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet.

Das Autorrecht löste das zuvor übliche Verlagsrecht, welches das geistige Eigentum ausschließlich als Immaterialgüterrecht betrachtete und keine Einheit zwischen Schöpfer und Werk vorsah und insofern ein vermögensrechtlich ausgerichtetes Recht darstellte. Erwarb ein Käufer ein Werk, so war er auch der unzweifelhafte Eigentümer davon. Durch das Autorrecht rückt der Schöpfer des Werkes als zusätzliche Interessengruppe neben dem Verleger in den kommerziellen Verwertungsprozess. Diese Konstellation birgt jedoch einen anhaltenden Interessenkonflikt. Das geistige Eigentum wird zum einen als wirtschaftliches Gut veräußerbar, bleibt jedoch zugleich untrennbar mit dem Urheber verbunden.


Geistiges Eigentum und Immaterialgüterrecht

Der Begriff des geistigen Eigentums, welcher sich häufig aufgrund seiner ideologischen Aufladung weitläufiger Kritik ausgesetzt sieht, war ursprünglich nicht (wie gegenwärtig oftmals angenommen) als sachrechtliches Eigentum, sondern als dem Schöpfer exklusive allerdings übertragbare Berechtigung am geschaffenen Werk konzipiert worden. Somit bezog sich das geistige Eigentum auf ein außerhalb des Menschen befindliches, nicht greifbares, also immaterielles Gut. Die aktuelle, ideologisch manipulierte Auffassung vom geistigen Eigentum als Privateigentum, welche den Besitzanspruch des Schöpfers an seinem Werk impliziert, steht somit im Gegensatz zur eigentlichen Bedeutung des Begriffs geistiges Eigentum. Durch diesen Besitzanspruch an geistigen Werken wird eine Verbindung zwischen materiellen und immateriellen Gütern erzeugt, welche die gesetzliche Differenz zwischen diesen Begriffen aufweicht. Eine solche Gleichsetzung ist jedoch rechtlich nicht haltbar, da etwa Eigentumsdelikte bei Immaterialgütern nicht möglich sind, weil diese von beliebig vielen Personen ohne gegenseitige Beeinträchtigung gleichzeitig genutzt werden können. 

Die Befürworter des Konzepts des geistigen Eigentums berufen sich in der Regel auf klassische historisch gewachsene philosophische Begründungen, um ihre Position zu verteidigen. Diese sollen im Folgenden genauer betrachtet und mit der Argumentation der Gegenposition verglichen werden.


Die liberale Begründung

Basierend auf John Lockes Arbeitstheorie entwickelte sich die liberale Begründung des geistigen Eigentums: „Das Ergebnis meiner Arbeit gehört mir.“ Lockes Theorie besagt, dass Menschen Kontrolle über die von ihnen hergestellten Güter besitzen müssen. Somit soll gewährleistet werden, dass der Urheber für die Nutzung seines Werkes durch Andere eine Kompensation als Ausgleich für die Einschränkung der eigenen Nutzung seiner Schöpfung erhalten müsse. Diese Rechtfertigung beschränkt sich jedoch ausschließlich auf rivalisierend nutzbare, also materielle Güter. Der Urheber von Verfahren oder Methoden (Immaterialgüter) wird durch Kopien in keiner Art und Weise in seinen eigenen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ferner sind für Locke alle Menschen mit dem gleichem Recht auf Leben, Freiheit und Besitz ausgestattet, wobei die Besitzrechte die Freiheit und das Leben nicht übertreffen dürfen. Die Idee vom geistigen Eigentum als Besitzanspruch beschränkt hingegen die Freiheit anderer, da es eine uneingeschränkte Nutzung von immateriellen Gütern verbietet.


Die utilitaristische Begründung

Der utilitaristische Ansatz verteidigt das geistige Eigentum im Hinblick auf seinen Beitrag für das Gemeinwohl. Inwieweit lässt sich jedoch der Nutzen des geistigen Eigentums für die Gesellschaft bemessen? Neben der qualitativen Dimension ließen sich finanzielle und wirtschaftliche Indikatoren aufzählen. Diese Möglichkeit hat jedoch bereits John Stuart Mill, einer der Hauptvertreter des Utilitarismus, ausgeschlossen, da gewisse Zustände nicht direkt käuflich oder mit finanziellen Maßstäben messbar sind. Die Gegner des geistigen Eigentums betonen zudem, dass die Ursache für die ungleiche Verteilung von Wohlstand im fehlenden freien Zugang zu immateriellen Gütern liegt, da diese in einer postindustriellen Gesellschaft der wichtigste Faktor für Wohlstand sind. So wird beispielsweise jeder Mensch durch Schutzfristen von 70 Jahren daran gehindert, zu Lebzeiten Werke seiner Zeitgenossen ohne deren Zustimmung frei zu nutzen oder weiterzuentwickeln. Der Einzelne wird demnach erheblich in seiner Freiheit und seinem Entwicklungspotential zugunsten Einzelner eingeschränkt. Dies steht im Widerspruch zum utilitaristischen Sinn.


Die deontologische Begründung

Gemäß der deontologischen Begründung besteht eine moralische Pflicht dem Urheber von geistigen Werken Respekt zu erweisen. Nach Immanuel Kant ist eine Handlung nur dann moralisch, wenn sie ohne äußeren Zwang, sondern stets aus einer inneren Pflicht resultiert. Ethische Handlungen sind somit immer freiwillig und mit der Überwindung von Hindernissen verbunden. Für die Gegner des Immaterialgüterrechts schließt dieses jedoch moralisches Verhalten grundsätzlich aus. Die mit diesem Rechtssystem zwangsläufig verbundenen festen Preise führen dazu, dass bestimmte Nutzer entweder über- oder unterfordert werden und somit von einer moralischen Handlung abgehalten werden. Die Überforderung in Form eines zu hohen Preises stellt ein zu großes Hindernis für den Zugang zu dem geistigen Gut dar, wodurch die entsprechenden Personen von einer Nutzung ausgeschlossen werden und gelegentlich dazu neigen, sich über das Recht hinwegzusetzen und dem Urheber jegliche Kompensation zu versagen. Anderseits kann ein zu niedriger Preis eine moralische Handlung ausschließen, da das zu kleine Hindernis für den Nutzer nur zu einer unzureichenden Kompensation des Urhebers führt. 


Der Beginn der Revolution

Kritiker des geistigen Eigentums fordern angesichts der unangemessenen und historisch überholten philosophischen Rechtfertigung von geistigen Eigentum eine Umkehr der Beweislast. Nicht die Gegner sollten den mangelnden Nutzen des geistigen Eigentums aufzeigen, sondern die Befürworter müssten beweisen, dass die Steigerung des Gemeinwohls durch Immaterialgüter deren hohen Preis rechtfertigten. Das Internet mit seinen zunehmenden formalen wie informellen Distributionskanälen stellt die klassische Rechtsgrundlage des Immaterialgüterrechts in Frage und stärkt die Rolle des Nutzers gegenüber den Positionen der Autoren und Verwerter. Es ist insofern nur folgerichtig, dass die Verbraucher als dritte Partei des Verwertungsapparats um die Anerkennung ihrer Rechte kämpft. Dem Urheberrecht als Schöpfung der bürgerlichen Revolution steht somit möglicherweise eine neuerliche Revolution bevor.



Weiterlesen

Jänich, Volker (2002). Geistiges Eigentum, eine Komplemantärerscheinung zum Sacheigentum? Tübingen.

Kimppa, Kai (2007). Problems with the Justification of Intellectual Property Rights in Relation to Software and Other Digitally Distributable Media. Turku.

Mill, John Stuart (1976). Der Utilitarismus. Ditzingen.

Aggregat 7 - Probleme der ethischen Begründung von „geistigen Eigentum“

Winfried Degen - Gedanken zu einem Privileg

Wolfgang Michal - Das Janusgesicht des geistigen Eigentums

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